Ding Liren ist der 17. Schachweltmeister.
Die WM 2023 in Astana (Kasachstan) bot spektakuläre Partien und einen Anlass Spanisch zu lernen. Im spanischen Kommentatorkanal von Chess.com saßen drei spanische Großmeister an einem Tisch und kommentierten die entscheidende vierte Tiebreak-Partie so, dass die Stimmung im Bernabeu-Stadium dagegen Kindergeburtstag unter strenger Eltern-Aufsicht ist. Bei jedem „einzigen“ Zug Dings sprangen sie auf und jubelten als habe Karim Benzema Real mit einem Traumtor die Championsleague gesichert (ab 5:30:00). Nur dass Benzema eben nicht alle 3 Minuten ein Traumtor schießt.
Legendenstatus hat jetzt schon die „Bromance“ zwischen Ding und seinem offenbar einzigen Sekundanten von Rang, dem ungarischen Spitzen-Großmeister Richard Rapport, der Ding nicht nur schachlichen sondern offenbar auch psychologischen Beistand bot. Immerhin lag Ding im gesamten Wettkampf drei Mal in Rückstand und kämpfte sich mit präzisen Zügen und manchmal ein bisschen Glück („der gute Spieler hat immer Glück!“, J.R. Capablanca) zurück ins Match. Das einzige Mal als er in Führung ging – zum 2,5:1,5 im Tiebreak – war er prompt Weltmeister.
Spektakulär auch die Rapport angedichteten wechselnden bedruckten Shirts, mit denen zu jedem Spieltag Botschaften in die Welt gesandt wurden (über den Twitterkanal @RapportTshirt).






Wer sich schwertat mit der Fanrolle angesichts zweier Teilnehmer aus Ländern, die in der Sympathieskala zur Zeit einen schweren Stand haben (Russland, China), sollte sich an dem freuen, was Schach offenkundig zum Sport macht, und was dieser Wettkampf im Übermaß bot: Kampf, Drama, Resilienz, Verzweiflung und Happy End.
Ich war vor der WM der Meinung, dass mich der Wettkampf zwischen der Nummer 2 und 3 der Welt nicht interessiere, aber irgendwie hat sich für mich Magnus Carlsen durch sein infantiles Gehabe als Vorbild selbst disqualifiziert und mit Ding Liren einen würdigen, bescheidenen, ja, philosophischen Nachfolger gefunden. Allen Schachfreunden, die gelegentlich an der Komplexität des Spiels verzweifeln, sei hier ein Ding-Zitat aus der Abschluss-Pressekonferenz ans Herz gelegt, das ich versuche aus dem stockenden Dinglish zu übersetzen:
„Ich habe 26 Jahre auf alle erdenklichen Arten Schach trainiert. [Manchmal] war ich nicht so glücklich und suchte mühsam nach anderen Hobbies, die mich glücklich machen. [Aber dann] wollte ich einfach nur der Beste sein und von den Besten lernen. Ich glaube, dieses Match zeigt das Tiefste meiner Seele.“
Ding Liren, 17. Schachweltmeister
Sein dringendster Wunsch nach der WM: „nach Turin zu reisen und einmal Juventus live zu sehen.“ Sehr nett auch seine Antwort auf die Journalistenfrage, was er denn jetzt als Weltmeister zu tun gedenke: „Jetzt? Beantworte ich Ihre Fragen.“ War schon fast ein lupenreiner Yogiismus (benannt nach dem Baseballspieler Yogi Berra, der auf die Frage: „What time is it?“ antwortete:“ You mean now?“).
Olé.
PS: ein großartiges Portait des Weltmeisters vom berühmten, spanischen Schachreporter Leontxo Garcia (El Pais) findet sich hier (auf Englisch, ohne Bezahlschranke).
„Mein Spitzname ist Stiller Sturm“ (Interview mit Ding in der Zeit).